AKZENTE FÜR DIE ORGEL

Zum Tode von

Bengt Hambraeus (1928-2000)

von Friedemann Herz 

(aus Musica Sacra 1/2001)

Ein umwälzender Aufbruch für das königliche Instrument ereignete sich unerwartet in den frühen 60er Jahren und er kam aus einer Richtung, die niemand vermutet hätte: Volumina (1961/62) von György Ligeti, Improvisation ajoutee (1961/62) und Phantasie für Orgel mit Obbligati von Mauricio Kagel, Interferenzen (1961) des Schweden Bengt Hambraeus. Ex nihil existierte eine Orgelmusik, die mit dem alten ideologisierten und oft missbrauchten Instrument nichts mehr zu tun hatte. Eine neue Welt tat sich auf, das zuweilen gettoisierte Instrument atmete auf.

Im Unterschied zu Ligeti und Kagel hatte allein Bengt Hambraeus Erfahrung mit der Orgel. Bereits während der Schulzeit war er, geboren 1928 in Stockholm, Orgelschüler von Alf Linder. 1947 begann er ein Studium der Musikwissenschaft, Kunst- und Religionsgeschichte in Uppsala, wurde promoviert, war Bibliothekar am Musikwissenschaftlichen Institut. Aus dieser Zeit existiert von ihm neben anderen Publikationen eine lesenswerte Studie: "Klangprobleme in der Orgelbaukunst des 17. und 18. Jahrhunderts - Über barocke Registrierprinzipien besonders im Hinblick auf Bachs letzte Orgelwerke".

Als Organist hat Hambraeus mehrfach in Schweden und in anderen Ländern konzertiert, spielte die ersten Rundfunkaufnahmen der Orgelwerke von Arnold Schönberg und Messiaen in Schweden ein. Er arbeitete von 1957 bis 1972 als Redakteur und später als Leiter der Musikproduktion beim Schwedischen Rundfunk (Sveriges Riksradio). Als Komponist ist er hauptsächlich Autodidakt.

Seine Teilnahme an den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt zwischen 1951 und 1955, wo er an Kompositionskursen von Wolfgang Fortner,Ernst Krenek und Olivier Messiaen teilnahm, hatte für seinen Werdegang eine grundlegende Bedeutung. Vorbilder für seine künstlerische Entwicklung waren nicht nur Max Reger, Anton Webern, Edgard Varese, John Cage und Olivier Messiaen, sondern ebenso gleichaltrige Kollegen wie Stockhausen, Luigi Nono, Pierre Boulez. Als einer der Pioniere auf dem Gebiet der elektronischen Musik arbeitete Hambraeus im Elektronischen Studio des WDR in Köln, später im Studio di Fonologia Mailand des Italienischen Rundfunks. Vor seiner bahnbrechenden Idee mit Interferenzen hatte er Constellations 1-111 (1961-1985) veröffentlicht.

Ligeti hörte 1959 während der Darmstädter Ferienkurse Konstellationer 1 (1958) von Hambraeus anlässlich eines Referates von Bo Wallner über neue schwedische Musik als Bandaufnahme, was für die Entstehung von Volumina von nicht zu überschätzender Bedeutung war; denn Ligeti erwähnt dieses Werk im Einführungstext zu Volumina, deren denkwürdige Uraufführung 1962 in Bremen Hambraeus und Kagel miterlebten. Der Organist war Karl-Erik Welin.

1966/67 veröffentlicht Hambraeus Tre Pezzi. Seine Erfahrungen mit japanischer und chinesischer Musik findet hier ihren Niederschlag. Die Five organ pieces (1969 bis 1975) reflektieren Musik anderer Zeiten und Kollegen, zum Beispiel Max Reger unter der Überschrift monumentum per Max Reger. 1972 folgte Hambraeus einem Ruf der McGill University in Montreal und wanderte nach Kanada aus, wo er bis zu seiner Emeritierung 1995 Komposition, Instrumentation, Kontrapunkt und Aufführungspraxis der Musik des zwanzigsten Jahrhunderts lehrte. Erwähnt sei hier noch das Livre d'Orgue aus den Jahren 1980/81, komponiert anlässlich des Neubaus einer französisch-barock konzipierten Orgel in der McGill University.
Mit Bengt Hambraeus, der am 21. September des vergangenen Jahres (2000) auf seiner Farm in Glen Roy Apple-Hill bei Montreal starb, verliert die Musikwelt einen stillen, vornehmen und ungewöhnlich gebildeten Musiker, dessen Horizont künstlerisch und geografisch über die Kontinente hinweg weit gespannt war. Der Orgelliteratur verlieh er Akzente, die Musikgeschichte schrieben.